
Eine Krebserkrankung ist ein multifaktorielles Geschehen, sowohl in seiner Entstehung, als auch in der Krankheitsverarbeitung. Die Diagnose stürzt Menschen nicht selten in eine existentielle Krise. Nichts ist mehr selbstverständlich.
Die psychischen Belastungen in der Auseinandersetzung mit dem malignen Geschehen können zu einer Reihe von Symptomen und Problemen bei der Krankheitsverarbeitung führen:
- Ängste
- Erschöpfungszustände, Tumor-assoziierte Fatigue
- Verzweiflung
- Depression
- Schmerzen
- Ohnmacht, weil da ein eigenmächtig wirkender Krankheitsprozess in einem selbst die Oberhand gewinnt
- Zweifel, ob man dem eigenen Körper und seinen Selbstheilungskräften noch trauen kann
- Verwirrtheit durch paradoxe Situationen wie einem Gesundheitsgefühl im Krankheitszustand und ein Krankheitsgefühl ausgelöst durch die Behandlung, z.B. eine Chemotherapie, die der Gesundung dienen soll, stellen die eigene Wahrnehmung gänzlich infrage
- Innere Zerrissenheit zwischen der Akzeptanz der Krankheit und ihrer aktiven Bewältigung, ohne dagegen anzukämpfen
- Trauer über den Verlust der Unversehrtheit und darüber, dass der alte Gesundheitszustand u.U. für immer verloren ist
- Wechselbad der Gefühle
- Bedrohung der Identität und des Selbstwertgefühls
- Körperbildproblematik / narzisstische Kränkung
- Isolation, Befangenheit u. Unsicherheit, wie in sozialen Beziehungen mit der Erkrankung umgegangen werden kann – das gesamte Beziehungssystem ist betroffen
Unsicherheit, Angst und Anspannung vor der bedrohlichen und unberechenbaren Krankheit Krebs können zu Verleugnung, Verdrängung und intellektueller Abwehr führen. U.U. kommt es zu einer Komorbidität mit einer sich sekundär entwickelnden psychischen Störung. Die häufigsten psychiatrischen Diagnosen im Kontext von onkologischen Erkrankungen sind Anpassungsstörung, Akute Belastungsreaktion, Depression, Angststörung und Posttraumatische Belastungsstörung.
Der Mensch als Einheit von Körper-Seele-Geist organisiert sich durch komplexe Resonanzprozesse auf allen Ebenen. Die moderne Psychoneuroimmunologie stellt diesen biopsychischen Zusammenhang her und zeigt die sensible gegenseitige Beeinflussung auf. Damit können wir davon ausgehen, dass therapeutische Angebote wie Entspannung, Imaginationsarbeit, das Malen eines Bildes oder plastisches Gestalten mit Tonerde sich sowohl positiv auf die Krankheitsverarbeitung wie auch auf den leiblichen Gesundungsprozess auswirken, auch wenn ein direkter Einfluss auf den Krankheitsverlauf schwer nachweisbar ist. Nicht ohne Grund zählt die Kunsttherapie zunehmend zu den angebotenen Therapieformen im stationären Bereich der Onkologie und wird in S3-Behandlungsleitlinien empfohlen. In der ambulanten Versorgung jedoch bleibt es dem eigenen Engagement vorbehalten, sich diese Form der Begleitung selbst finanziert zu wählen.
Chancen und Ziele einer kunstpsychotherapeutischen Begleitung können sein:
- Psychische Stabilisierung
- Prävention vor einer erstmaligen und wiederholten Erkrankung
- Verbesserung der Lebensqualität
- Kontrolle oder Linderung psychosomatischer Symptome
- Neuorientierung in der Situation, die durch einen vorübergehenden Struktur- und Ordnungsverlust geprägt ist
Als Referenz für eine ressourcenstärkende Begleitung in der Onkologie bietet sich das Konzept der Salutogenese (nach Aaron Antonovsky) an. Die angestrebte Förderung der Resilienz verweist auf allgemeine Paradigmata der ganzheitlichen Gesundheit, insbesondere der Widerstandsfähigkeit und Selbstwirksamkeit. Zentraler Bezugspunkt ist das Empfinden von Kohärenz, einer inneren Stimmigkeit mit sich selbst und dem Gefühl von Verbundenheit im sozialen Lebenskontext. Hierzu gehören wesentlich die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen (Gefühl der Verstehbarkeit), die Überzeugung, das eigene Leben gestalten und Probleme bewältigen zu können (Gefühl der Handhabbarkeit, Bewältigbarkeit) und der Glaube an einen Sinn im Leben (Gefühl der Sinnhaftigkeit).
Angesichts dieser Aufzählung wird schnell klar, wie sehr genau diese Ressourcen eine tiefe Erschütterung durch die Diagnose Krebs erfahren und wie nötig deren Wiedererlangung für den Bewältigungs- und Heilungsprozess ist. Die tiefenpsychologisch fundierte Kunsttherapie hält dafür eine Fülle von wirksamen Methoden bereit.
Kunst(psycho)therapeutische Methoden und deren Wirkungsweisen
Die Kunstpsychotherapie macht onkologischen Patient_innen in ihrem ohnmächtigen Zustand der Handlungsunfähigkeit ein Angebot, ihr Innenleben durch sinnlich-praktisches Tun mit kunsttherapeutischen Materialien zu ordnen und Veränderungen auf einer symbolischen Ebene anzubahnen. Wandlung ist weder voraussehbar, planbar noch machbar, aber das unkontrollierbar Bedrohliche kann in der Gestaltung einer selbstbestimmten Veränderung und damit einer inneren Wandlung zugeführt werden.
Neben der normalen Arbeit mit den klassischen kunsttherapeutischen Medien wie Zeichnen mit unfarbigen und farbigen Stiften (Kohle, Graphit, Pastellkreiden, Ölmalkreiden…), Malen mit Farben und Pinsel (Gouache, u.U. mit Beifügung von Kleister, Aquarell) und freies Gestalten mit Ton können weitere Methoden in der Begleitung von Menschen mit einer onkologischen Erkrankung zum Einsatz kommen:
- Arbeit am Körperbild durch Malen eines lebensgroßen Selbstbildes, Körperbemalung, Körperabdrücke oder Körperabformungen mit Gipsbinden
- Klärung innerer Widersprüche durch Arbeit mit dem inneren Team
- Glaubenssatzarbeit
- Trauerarbeit mit Ablöse- und Versöhnungsritualen
- Reflektieren und Umorientierung bzgl. der eigenen Biografie durch Erstellen eines Lebenspanoramas / Timeline-Arbeit
- Betrachten und Auflösen von transgenerationaler Weitergabe belastender Einflüsse anhand von Genogramm und Figurenaufstellung des Familiensystems
- Entspannung und Imaginationen, verbunden mit dem kunsttherapeutischen Gestalten von heilsamen inneren Bildern als erste Form der Realisierung und Manifestation
- Einbeziehen von Distanzierungstechniken aus der Traumatherapie wie z.B. das Gestalten und Separieren von massiv bedrohlich erlebten Aspekten in einem „Tresor“ als Schutz vor Überflutung
Bei der Einschätzung einer kunstpsychotherapeutischen Begleitung von onkologisch erkrankten Menschen ist unbedingt zu berücksichtigen, inwieweit es durch das aktuelle Krankheitsgeschehen zu einer Reaktivierung von früheren Verlustängsten, Bedrohungen der körperlichen Unversehrtheit, Existenztraumata o.ä. kommt, die in der Folge zu einer komplexen Überlagerung und Verschränkung mehrerer psychischer Belastungen bzw. Störungen führen kann. Die aktuelle Erkrankung ist oft kein singuläres Ereignis.
Die kunstpsychotherapeutische Begleitung kann grundsätzlich als Einzeltherapie oder in einer Kleingruppe erfolgen. Auch für Angehörige kann sie sinnvoll sein.